Das Wunder des Vertrauens

Nun liegt die Karnevalszeit hier im Rheinland schon seit einigen Wochen hinter uns. Mein Mann und ich waren am Karnevalssonntag spontan der Einladung meines Bruders gefolgt und schauten uns den Karnevalszug in der Stadt, in der wir aufgewachsen sind, an. Wir standen zusammen in einer Gruppe von mehreren Erwachsenen und Kindern – einige kannten wir, andere nicht. Eins der Kinder, die wir noch nie gesehen hatten, war ein vierjähriges Mädchen. Das hübsche dunkellockige Kind hatte es uns nach kurzer Zeit angetan. Offensichtlich hatte sie noch nie einen Karnevalszug erlebt – was nach zwei ausgefallenen Sessionen kein Wunder ist, wenn man erst seit vier Jahren auf dieser Welt lebt. Ihre erste Begegnung mit den umherfliegenden Süßigkeiten war, dass die älteren Kinder um sie herum diese in Windeseile aufsammelten und sie nichts davon abbekam. Sie hatte noch gar nicht verstanden, dass man am Straßenrand steht, aus Leibeskräften „Kamelle!!!“ schreit, die Menschen in den Fußtruppen oder bunten Wagen Süßigkeiten werfen, die man dann aufhebt. Sie brach zunächst in Tränen aus als sie feststellte, dass sie nichts bekommen hatte. Doch sie war ein kluges und absolut kein weinerliches Kind. Denn schon Minuten später hatte sie „den Dreh“ raus. Voller Eifer stand sie mit ihrer großen Tüte am Straßenrand, schrie mit den anderen Kindern gemeinsam und sammelte die Süßigkeiten, die sie ergattern konnte. Die umstehenden Erwachsenen halfen fleißig mit und verteilten die aufgehobenen Süßigkeiten an ihre eigenen oder an andere Kinder.
So auch mein Mann und ich.

Auf dem Gesicht des Kindes spiegelte sich die pure Freude an diesem Ereignis – dem Karnevalszug, dem Sammeln der Süßigkeiten und daran, dass sich ihre Tüte je länger je mehr füllte. Jedes Mal, wenn wir etwas in ihre Tüte fallen ließen, hob sie strahlend den Kopf und blickte uns voller Freude an. Mein Mann – ganz der Kita-Leiter, der nie Feierabend macht : ) – begann mit ihr zu sprechen. Sie war offen und freundlich und antwortete ohne Scheu. Ihre Eltern standen mit ihrem zweiten kleineren Kind auf dem Arm hinter uns. Ich gab ihnen zu verstehen, dass sie sich keine Gedanken machen müssten, wir würden schon auf ihre Tochter aufpassen – was wir mit Hingabe taten.

Die Freude des Mädchens und ihre offensichtliche Bereitschaft, meinem Mann ihr Vertrauen zu schenken, obwohl wir kaum eine Stunde mit ihr zusammen waren, haben uns sehr berührt. Unser deutsches Wort „vertrauensselig“ hat einen negativen Beigeschmack, der meint, man würde zu schnell und zu leicht vertrauen. Doch Kinder sind prädestiniert für „Vertrauensseligkeit“. Ihr Nervensystem ist darauf ausgerichtet, „Vertrauen in die Menschheit“ – das Ur-Vertrauen aufzubauen, um eine emotional stabile, im Leben orientierte, sozial kompetente Persönlichkeit zu werden. Wie oft die Fähigkeit eines Kindes, einem Erwachsenen auf seine Zuwendung und Freundlichkeit hin schnell zu vertrauen, missbraucht und gebrochen wird, darauf möchte ich in diesem Beitrag den Blick nicht richten. Sondern darauf, dass wir auf diese Fähigkeit eines Kindes mit großer Wertschätzung und dem Bewusstsein reagieren, wie kostbar und gleichzeitig zerbrechlich dieses Vertrauen ist. Wir können uns das gar nicht genug bewusst machen. Denn wie wir mit dem Vertrauen von Kindern umgehen, bestimmt letztlich die Fähigkeit einer ganzen Gesellschaft, Beziehungen zu leben und zu gestalten – ob konstruktiv oder destruktiv, kommunikativ oder verschlossen, vergebend oder verbittert, treu oder unverbindlich.

Erziehung, Glauben, Kinder, Kinder stärken, Kindergarten, Leichtgläubigkeit, Prävention, Sexualisierte Gewalt, Vertrauen
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